Hinnack – Heinrich Hermann Hempelmann (1869 – 1933)

Arbeiter und Bauern, Beamte und Angestellte, junge Liebespaare und verheiratete Frauen: „Sie alle zogen gen Holsen, saßen in dem kleinen Wahrsagezimmer und waren gespannt auf die Mittel und Wege, die Holsen Hinnerk ihnen weisen sollte, um dem Schicksal einen Streich spielen zu können.“ So berichtete im März 1932 eine Bielefelder Zeitung über den Hellseher Hermann Heinrich Hempelmann alias „Holsen Hinnerk“ oder „Holser Hinnack“, wie er weit über Ostwestfalen hinaus genannt wurde. Hinnerk spürte verstecktes Diebesgut auf, gab zu Ehebrüchen Auskunft, sah Brände und Todesfälle voraus und fand den Aufenthalt von Menschen heraus, die verschwunden waren – solche Geschichten erzählte man sich in Westfalen. War Hinnerk eine Art „Spökenkieker“?

So bekannt der Mann seinerzeit war, so sehr erstaunt, wie wenig über ihn an überprüfbaren Fakten überliefert ist. Laut Meldekarte der Amtsverwaltung Ennigloh wurde „Holsen Hinnerk“ am 14. Juli 1869 geboren – als Sohn der Eheleute Hermann Heinrich Hempelmann, genannt Bockmeier, und seiner Ehefrau Anne Margarethe Kleine Doepke. Hempelmann junior erbte um 1900 das elterliche Anwesen, zu dem einige Morgen Land gehörten. Es lag unweit der ländlichen Bahnstation, über die Holsen damals verfügte – eine der Voraussetzungen für den späteren Ansturm der „Hinnerk-Gläubigen“.

Offiziell verdingte sich Hempelmann als Kleinbauer und „Zig. Arbt.“ (Zigarrenarbeiter), so die Meldekarte. Er war verheiratet mit der drei Jahre jüngeren Johanne Haubrock aus der benachbarten Ortschaft Klein-Aschen. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor. Bekannt wurde er durch seine angebliche Fähigkeit, in die Zukunft schauen beziehungsweise durch hellseherische Fähigkeiten Verbrechen aufzuklären – das zumindest wurde von ihm erzählt. Und auch er selbst behauptete es von sich. „Ich sehe das alles: wie der Mann von der Kugel getroffen wird und umfällt, wo das Gestohlene versteckt ist und wo die Leiche im Wasser liegt“, wird er von seinem späteren Rechtsanwalt Ernst Wilhelm Heinrich Meyer zitiert: „Ein schmutziges Kartenblatt, das er vor sich ausbreitete und eine kurze Weile anstarrte, versetzte ihn in den Zustand, in dem er schauen konnte.“

Was er sah, glaubten ihm viele. An manchen Tagen kamen bis zu hundert „Patienten“ nach Holsen, „um von seiner geheimnisvollen Kunst zu profitieren“, so die Zeitung 1932. Doch auch den Behörden war „Holsen Hinnerk“ aufgefallen. Was sie glaubten zu sehen, gefiel ihnen gar nicht. Das Amtsgericht in Bünde hatte ihn sogar wegen Betruges zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Das Landgericht in Bielefeld sprach ihn allerdings frei, „weil man annehmen müsse, dass der Angeklagte selbst an seine Fähigkeit des Zweiten Gesichtes glaube“. Diese Begründung des Freispruches hat Anwalt Meyer später in seinen Erinnerungen veröffentlicht. Er hat Holsen-Hinnerk sogar in einem Roman „verewigt“. Der allerdings ist von nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie tief getränkt und vermengt historische Tatsachen mit erdachter „Fiktion“. Mehr Aufschluss über den Seher aus Holsen könnten die Prozessakten der Gerichte in Bünde und Bielefeld finden. Doch von den Akten fehlt seltsamerweise jede Spur.

Er verstarb am 28. Juni 1933 im Alter von 64 Jahren.


Irrlichter

In Holsen gab es einen Wahrsager, der weit über die Grenzen des Ortes hinaus bekannt war, nämlich den „Holser Hinnack“. Viele Histörchen ranken sich um ihn, zumal vieles, was er voraussagte, auch tatsächlich eingetroffen sein soll. So warnte er einmal den alten Kaufmann, lange bevor im Jahre 1898 der Holser Friedhof auf dem Voßenkampe eingerichtet wurde, er solle bloß nicht im Dunkeln am Voßenkampe vorbeigehen, denn: „Eck häbbe do Irrlichter danzen soihn!“ Nun wusste Holser Hinnack, dass der alte Kaufmann des öfteren im Dunkeln mit seinem Gespann am Voßenkampe vorbeizufahren pflegte. So bestellte der Wahrsager einige Helfer. die abends auf dem besagten Feld eine Garnhaspel drehten, an deren Kranz brennende Zigarrenstummel befestigt waren, die beim Rotieren hell aufleuchteten. Prompt kam Kaufmann dort vorbei, aber plötzlich trieb er seine Pferde im Galopp nach Hause. „Hinnack“, meinte er am nächsten Tag zu dem Wahrsager, „Diu häs recht, eck häbbe vomuckt dä Irrlichter danzen soihn“…


Absatzkrise

Nach dem ersten Weltkrieg waren auch für die Holser Bauern die Zeiten schlecht. Auch der alte Kaufmann wurde seine Ferkel auf dem Bünder Markt nicht mehr so recht los. Da er sich nicht anders zu helfen wusste, ging er zu Holser Hinnack und klagte ihm sein Leid: „Eck häbbe oll inne Buibel liasen: „Und die Kaufleute werden weinen, dass sie ihre Ware nicht verkaufen!“, un eck hoide doch Käopmann, wat make eck bleos?“ „Jeo“, wurde ihm geantwortet, „Diu moß Duine Fiaken proper maken un vohia schön wasken, wenn Diu non Buiner Make foiers!“ Also wusch er seine Ferkel, die danach so schön aussahen, dass er sie alle auf dem Markt verkauft haben soll…