Bericht und Fotos: Harald Darnauer

Geschichte der ersten Kirchenglocke der Kirchengemeinde Holsen-Ahle

Mit der Fertigstellung der als Provisorium gedachten hölzernen Kirche und deren Weihe am 18. Dezember 1912 rief auch eine Glocke aus Gussstahl zum Gottesdienst, die von der traditionsreichen 300 Jahre alten Geester Firma Petit & Gebrüder Edelbrock mit der Inschrift „Lobe den Herrn“ gegossen worden war. Als Glockenträger war ein kleiner Turm auf dem Dach des Gotteshauses angebracht worden.

Die zweistimmige Glocke wurde durch ein Seil, das bis auf die Empore der Holzkirche reichte, von Hand in Schwingung gebracht. An der Glocke befand sich ein zweites Seil, an dem ein Hammer befestigt war; dadurch diente sie zugleich als Gebetglocke. Der Klang der Glocke hing in entscheidendem Maße vom Schlagrhythmus des für das Läuten zuständigen damaligen Küsters Heinrich Ebmeier ab; das Läuten verlangte schon ein gewisses Maß an Erfahrung. Noch heute erzählen ältere Mitglieder der Kirchengemeinde, „dass man am Klang erkennen konnte, wer die Glocke schlug.“ Der spätere Pfarrer Friedrich Dreyer bemängelte in einem Fragebogen des Konsistoriums am 6. Mai 1937 die Glocke sei „völlig unzureichend im größeren Teil der Gemeinde gar nicht hörbar“.

Als sehr gefährlich für Glocken erwiesen sich die Kriegszeiten. Insbesondere Bronzeglocken waren wegen ihres hohen Kupfergehaltes für die Rüstungsindustrie sehr wertvoll. Da die hiesige Gemeinde "nur" eine Stahlgussglocke besaß und diese die einzige der Kirchengemeinde war, blieb ihr das Schicksal der Einschmelzung erspart.

Mit der Errichtung und Einweihung des Neuen Gemeindehauses der Kirchengemeinde Holsen-Ahle mit Kirchensaal und Kindergarten am 9. September 1951 wurde die Glocke vom Turm der Holzkirche genommen und auf ein Holzgestell neben die neue Kirche gesetzt. Hier hing sie bis zur Fertigstellung des neuen freistehenden Kirchturmes im Jahre 1955. Zwei Jahre später wurde die Glocke dann für einen Kaufpreis von 100,- DM an die noch selbstständige politische Gemeinde Ahle veräußert.

Die Glocke hat das kirchliche Gemeindeleben von seinen Anfängen im Jahre 1912 über die weitere Entwicklung hin zur selbstständigen Kirchengemeinde Holsen-Ahle am 1. Januar 1925 bis zum Jahre 1955 begleitet, als sie durch ein neues Geläut ersetzt wurde. Mehr als vierzig Jahre lang rief die Glocke die Gläubigen zum sonntäglichen Gottesdienst, zu Taufen, Konfirmationen, Eheschließungen und Trauerfeierlichkeiten. Bei jeder Siegesnachricht im Ersten Weltkriege ließ der damalige Pastor Wendt die Kirchenglocke läuten. Aber auch zu den Trauergottesdiensten für die Kriegstoten der beiden Weltkriege rief die Glocke; allein 130 Trauergottesdienste für tote Soldaten des Zweiten Weltkrieges fanden in der Kirchengemeinde Holsen-Ahle statt.

Nach dem Verkauf wurde die Glocke in den Glockenturm der Ahler Schule gehängt, wo schon eine weithin sichtbare Turmuhr die Zeit anzeigte. Schulglocken hatten in Ahle eine lange Tradition. Im Jahre 1852 hatte die Schule eine Bronzeglocke erhalten, die in einem aus drei Masten erstellten Turm befestigt war und von Hand geläutet wurde. Mit der Errichtung der neuen Schule im Jahre 1912 bekam sie ihren Platz im Turm des Gebäudes. Die Glocke diente als Schul- und Leichenglocke. Als unmittelbare Folge des Ersten Weltkrieges wurde sie 1917 eingeschmolzen.

Wegen der schlechten Klangqualität der Kirchenglocke, die bei Beerdigungen im Ort kaum zu hören war, kaufte die Gemeinde im Jahre 1931 eine neue Glocke. Man erwarb – kombiniert mit einer Uhr – bei der Firma Korfhage in Buer eine Bronzeglocke zum Preis von 1.223 Reichsmark. Nach den Worten des damaligen Bürgermeisters Heinrich Dix war die Glocke so kräftig, dass „ihr Schlag bei ruhigem Wetter zwei bis drei Kilometer weit zu hören“ war. Auch sie wurde während des Zweiten Weltkrieges eingeschmolzen. Bis zum Jahre 1955 war nun die alte Gussstahlglocke wieder ohne Konkurrenz.

Im Zuge der Kahlschlagsanierung der frühen siebziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts wurde das wunderschöne alte Ahler Schulgebäude nach Fertigstellung eines Neubaues am 17. September 1971 abgerissen. Zur damaligen Zeit hatte der Hauptschullehrer Friedrich Wieseler eine Dienstwohnung im Lehrerhaus an der Ahler Schule. Da sich Glocke und Uhr in einem außerordentlich guten Zustand befanden, baute er wenige Tage vor Abbruch mit einigen Schülern Uhr und Glocke aus dem Turm aus, um sie im Werkunterricht an der Ennigloher Hauptschule zu restaurieren. Nach erfolgreicher Restauration konnte man jedoch weder Uhr noch Glocke einen würdigen Platz geben. So landete die Uhr auf dem Schrott. Um dieses Schicksal der Glocke zu ersparen, nahm Lehrer Wieseler die Glocke an sich.

Am 27. Januar 2003 hielt Frau Tönsing im Frauenabendkreis der Kirchengemeinde Holsen-Ahle einem Vortrag zum Thema Glocken und deren Bedeutung in der Kirche. Bei ihren Nachforschungen hatte sie sich auch mit dem Verbleib der alten Kirchenglocke beschäftigt. Dabei war sie mehrfach mit der Vermutung konfrontiert worden, die Glocke sei in die Friedhofskapelle Holsen eingebaut worden. So kam es am Sonntag, den 26. Januar, zu einem Telefongespräch zwischen Herrn Dieter Tönsing und dem Verfasser dieses Artikels. Dieser konnte sich an einen Zeitungsartikel in seinem Archiv über den Abriss der Schule erinnern und stieß dabei auf die Familie Wieseler. Bei einem Besuch am gleichen Abend übergab ihm Herr Wieseler die Glocke in einem hervorragend gepflegten Zustand, damit sie zur Kirchengemeinde zurückkam.

So kehrte die Glocke nach einundneunzig Jahren an den Ort ihrer Erstbestimmung zurück, aber nicht mehr auf den Glockenturm der Holzkirche; sie erhielt nunmehr einen Ehrenplatz im Eingangsbereich des Glockenturms der Lukaskirche. Ein besonderer Dank gilt der Familie Tönsing, die durch ihre Nachforschungen auf die Glocke aufmerksam machte, und der Familie Wieseler, die durch ihre Umsicht ein Kulturdenkmal vor der Zerstörung bewahrt hat.